Einige autobiographische Anmerkungen
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Für Leser, die auf einer persönlichen Website auch etwas über die Person des Autors erfahren möchten, hier ein paar Schilderungen zum biographischen Hintergrund.

Ich wurde 1958 in Heidelberg geboren und verbrachte Kindheit und Jugend hauptsächlich in dieser Region (dazwischen einige Jahre im schwäbischen Ludwigsburg). Diesen Teil meiner Biographie lasse ich hier beiseite, denn er hat mit dem sonstigen Inhalt der Website wenig zu tun. Erwähnen möchte ich nur, dass ich staatliche Schulen besuchte und in dieser Zeit nichts von Waldorfschulen und Anthroposophie wußte.

Nach dem Abitur entschied ich mich für das Studium der Biologie, weil ich Naturwissenschaftler werden wollte und die Biologie als das interessanteste und in den nächsten Jahrzehnten wohl wichtigste Teilgebiet der Naturwissenschaft betrachtete. Nach dem Vordiplom kamen mir jedoch erhebliche Zweifel, ob ich auf diesem Gebiet den Beruf fürs Leben finden würde. Mir war klar geworden, dass in der Biologie, wie sie mir vorgetragen und dann in den Prüfungen abverlangt wurde, fast alles letztlich auf zwei Prinzipien hinausläuft: erstens auf spekulative Erklärungen jeglicher Erscheinungen im Rahmen der Selektionstheorie und zweitens auf die Beschreibung irgendwelcher Mechanismen, die sich hinter den Erscheinungen des Lebendigen finden lassen. Warum irgendetwas im Bereich des Lebendigen so ist, wie es ist, hat demnach immer die eine Erklärung, dass es halt im Kampf ums Dasein von Vorteil war. Und wie es funktioniert, das wird auf der Ebene von Physik und Chemie betrachtet. Somit bleibt als das spezifisch Biologische übrig, was sich halt zufällig im Kampf ums Dasein bewährt hat.

Unter solchen Voraussetzungen sah ich im Beruf des Biologen nicht mehr  viel Sinn. Anscheinend war ja alles im Prinzip schon erforscht, und es konnte nur noch um Details gehen. Insbesondere war die Vielfalt der Lebewesen, die den Laien so sehr faszinieren konnte, “aus wissenschaftlicher Sicht” nur noch ein Ergebnis von Zufälligkeiten. Der Tiger, das Nashorn oder der Kolibri sind so, wie sie sind, weil sich ihr Sosein im Kampf ums Dasein bewährt hat. Dass sie, ausgehend von gemeinsamen Vorfahren, verschiedene Eigenheiten entwickelt haben, war Zufall und ist nicht weiter verstehbar. Ebenso wird in dieser Sichtweise der Mensch als Ergebnis von Zufällen und biologischer Selektion betrachtet. Unsere “geistigen Funktionen” sollen evolutionsbiologisch erklärbar sein, und die Individualität eines jeden Menschen wird als Ergebnis einer zufälligen Kombination von Genen und ebenso zufälliger Umwelteinflüsse gedeutet.

Ich wollte mich mit diesen Behauptungen jedoch nicht zufrieden geben. Diese Art und Weise, das Rätsel des Lebens und die Geheimnisse des Lebendigen einfach wegzuerklären, die reiche Erlebniswelt menschlichen Denkens, Fühlens und Wollens auf die “Mechanismen” der etablierten Evolutionsbiologie zurückzuführen und das Mysterium der menschlichen Individualität als bloßes Zufallsprodukt erscheinen zu lassen, empfand ich als gar zu billig. Nicht dass ich an einem ungelösten Rätsel oder an ungelüfteten Geheimnissen festhalten wollte. Ich war umgekehrt davon überzeugt, dass es da noch mehr zu entdecken und zu verstehen gibt, als die an der Uni vermittelte Lehre gelten läßt. Deshalb machte ich mich neben dem Uni-Studium auf die Suche nach Alternativen zu dieser Lehre.

Bei dieser Suche zog ich so mancherlei in Betracht, aber fündig wurde ich schließlich bei der goetheanistischen Naturwissenschaft und - damit verbunden - bei der Erkenntnistheorie Rudolf Steiners und bei Steiners Anthroposophie.

Die Arbeiten goetheanistischer Biologen bestätigten ganz konkret meine Erwartung, dass das Lebendige weitaus mehr zu bieten hat als die trockene Theorie, die mir im Studium vermittelt wurde. Die Vielfalt des Lebendigen birgt unzählige faszinierende Geheimnisse, aber diese Geheimnisse sind zu enträtseln. Wir können herausfinden, wie alles zusammenhängt. Dafür müssen wir von den vorschnellen Pseudo-Erklärungen der herrschenden Lehre absehen und uns offenen Sinnes dem zuwenden, was uns konkret entgegentritt. Dann können wir überall verstehbare Zusammenhänge finden, die durch die herrschende Doktrin ausgeblendet werden. (Zu den Büchern, die mich damals am meisten beeindruckten, gehört vor allem die von Wolfgang Schad herausgegebene Reihe “Goetheanistische Naturwissenschaft” und der Klassiker “Die Pflanze” von Gerbert Grohmann.)

In Steiners Erkenntnistheorie begegnete mir der Ansatz, das menschliche Denken und Erkennen nicht aufgrund irgendwelchen “Wissens” aus anderen Gebieten (z.B. der Biologie) mit Vorurteilen zu befrachten, sondern es in einer “immanenten” Perspektive selber zu untersuchen. Und an der Anthroposophie interessierte mich besonders der Ansatz, den einzelnen Menschen nicht bloß als Ergebnis von Vererbung und Umwelt anzusehen, sondern ihm darüber hinaus noch einen individuellen “Wesenskern” zuzugestehen.

Zwischen diesen neuen Perspektiven (die ich allerdings vorher schon geahnt und deshalb gesucht hatte) und dem, was ich im Universitäts-Studium einzupauken und wiederzugeben hatte, lag allerdings eine tiefe Kluft. Wenn ich etwa in Seminaren versuchte, goetheanistische Fragestellungen in die Diskussion einzubringen, dann wurde das sofort als “unwissenschaftlich”, “Metaphysik” oder “19. Jahrhundert” weggewischt. Andererseits nahm die mir zugängliche goetheanistische Literatur kaum je Bezug auf Vorstellungen der zeitgenössischen konventionellen Wissenschaft. Um mein Studium erfolgreich abschließen zu können, musste ich mir jetzt gewaltige Mengen von “Wissen” eintrichtern, das mir in zentralen Punkten fragwürdig bis unhaltbar erschien, das zu hinterfragen und auf seine Grundlagen hin zu überprüfen mir aber keine Zeit blieb.

Nach dem Studium hatte ich noch meinen Zivildienst abzuleisten. Dabei ergab sich das unwahrscheinliche Glück, dass just zu diesem Zeitpunkt eine Zivildienststelle in der biologischen Abteilung eines goetheanistischen Forschungsinstituts frei wurde (Carus-Institut bei Pforzheim). Das erschien mir als eine ausserordentlich günstige Gelegenheit, vor dem Einstieg ins richtige Berufsleben schon einmal mit der Praxis goetheanistischen Arbeitens vertraut zu werden und mir dabei auch mehr Klarheit über das Verhältnis von Goetheanismus und zeitgenössischer konventioneller Biologie zu verschaffen.

Leider fiel ich bei meinem Abteilungsleiter in diesem Institut schnell in Ungnade, was zunächst meine Arbeits- und Lebenssituation schwer belastete, aber darüber hinaus auch langfristige Folgen haben sollte, die ich mir damals kaum hätte träumen lassen. Aus irgendwelchen Gründen war ich dem Herrn offenbar sehr unsympathisch, und nach wenigen Wochen gab er es auf, diese Antipathie irgendwie zu zügeln. Meine Arbeit - durchweg niedere Hilfsdienste - wurde bei jeder Gelegenheit bemängelt, und Zornesausbrüche waren dabei normal. Um wenigstens den Anflug einer Rechtfertigung zu haben, behauptete er, ich hätte “zwei linke Hände”. Was insofern ein Körnchen Wahrheit enthält, als seine anfänglichen Dressurversuche, bei denen er stets nach kurzer Zeit dem Explodieren nahe war, nicht zu seiner Zufriedenheit verliefen.

Parallel dazu mußte ich feststellen, dass die Kluft zwischen konventioneller und goetheanistischer Biologie durchaus auch von der goetheanistischen Seite her gewollt war. Was ich an der Universität bzw. aus Lehrbüchern gelernt hatte, wurde verachtet und abgelehnt. Diesem pauschalen Urteil konnte ich mich nicht anschließen. Aber mit meinem Problem, die beiden Welten in einen Zusammenhang zu bringen, blieb ich allein. Am Ende hatte ich viel über den real existierenden Goetheanismus gelernt, aber die Kluft zur Schulwissenschaft war nicht kleiner geworden. Ausserdem bekam ich von meinem Chef bescheinigt, dass ich nie ein Goetheanist werden könne, weil ich zwei linke Hände hätte. Wie ich damals schon richtig vermutete, verbreitet sich ein solches Urteil in diesen Kreisen schnell. Und nachdem ich in der konventionellen biologischen Forschung keinen großen Sinn mehr sehen konnte (s.o.), sah ich nun im goetheanistischen Bereich meine persönlichen Chancen für einen Einstieg verbaut.

Als Alternative bot sich eine Tätigkeit als Waldorflehrer an, zumal meine Lebensgefährtin damals gerade eine solche Ausbildung absolvierte. Der Waldorfpädagogik liegt das Menschenbild der Anthroposophie zugrunde, das ich als eine interessante Erweiterung des naturwissenschaftlich-reduktionistischen Menschenbildes betrachtete, und in den naturkundlichen Fächern können an Waldorfschulen - frei von den Vorgaben der staatlichen Lehrpläne - goetheanistische Ansätze entwickelt werden. Also ließ ich mich auf dieses Abenteuer ein, besuchte einen eineinhalbjährigen Kurs für Oberstufenlehrer an Waldorfschulen und arbeitete danach zweieinhalb Jahre an einer Schule in Hamburg.

Der aus der Anthroposophie abgeleitete Grundgedanke der Waldorfpädadgogik ist, alle Schüler in ihrer individuellen Entwicklung zu fördern. Im Zentrum steht also die Individualität jedes einzelnen Schülers, die ihren jeweils eigenen Lebensweg sucht und dafür von Seiten der Schule möglichst vielfältige Anregungen und Unterstützungen erhalten soll. Darin liegt ein grundsätzlicher Unterschied zu der Zielsetzung des staatlich gelenkten allgemeinen Schulwesens, wo die Schüler anhand weitgehend normierter Lernprogramme, welche von einer Obrigkeit vorgeschrieben werden, zu Staatsbürgern nach der Vorstellung der Obrigkeit erzogen werden sollen und dabei einem ständigen Leistungsdruck unterliegen.

Aber der Grundgedanke bei Steiner ist eine Sache, die traditionelle Praxis an heutigen Waldorfschulen ist eine andere. Tatsächlich haben auch die Waldorfschulen einen “Lehrplan”. Im Unterschied zu seinen staatlich verordneten Pendants geht dieser Lehrplan jedoch nicht mit der Zeit, sondern er steht seit achtzig Jahren fest. Es handelt sich nämlich um die Anregungen Rudolf Steiners, der als Leiter der ersten Waldorfschule von 1919 bis 1924 in vielerlei Hinsicht um Rat gebeten wurde. Seine Anregungen und Vorschläge wurden zunächst informell tradiert und dann 1955 als kommentierte Zusammenstellung unter der Bezeichnung “Lehrplan” erstmals gedruckt. Unter anderem enthält dieser Lehrplan grobe Richtlinien dafür, was z.B. in Biologie und Chemie auf jeder Klassenstufe zu unterrichten ist.

Einige dieser “Lehrplan-Angaben” Steiners erwiesen sich als sehr problematisch. So soll in der 11. Klasse die Zellenlehre “kosmologisch” behandelt werden. Was soll das heissen? Steiner bezog sich mit diesem Stichwort auf einen sehr anspruchsvollen Vortragszyklus, den er zuvor u.a. für die Lehrer der Waldorfschule gehalten hatte und in dem er Anregungen für naturwissenschaftliche Forschungen geben wollte (“Das Verhältnis der verschiedenen naturwissenschaftlichen Gebiete zur Astronomie”, 1921). Die für die 11. Klasse vorgeschlagene “kosmologische” Zellenlehre wäre also erst noch auszuarbeiten gewesen. Davon kann aber bis heute keine Rede sein. Es kursieren lediglich einige hochspekulative Hirngespinste, in denen Steiners vage Andeutungen sehr phantasievoll weiter ausgestaltet sind. So meinte etwa einer meiner Dozenten am Stuttgarter Lehrerseminar, in jeder Zelle ein Abbild unseres Planetensystems zu sehen. Von seinen diesbezüglichen Schilderungen konnte sich allerdings nur beeindrucken lassen, wer von dem, was tatsächlich in den Zellen geschieht, nicht viel wusste.

Während unserer Ausbildung zum Oberstufenlehrer wurden wir Seminaristen aufgefordert, uns nebenher derartige offene Fragen im Umfeld der Waldorfpädagogik vorzunehmen, woraus vielleicht die eine oder andere Publikation hervorgehen sollte. Natürlich hatten die Dozenten bereits zahlreiche derartige Fragen in petto, die sie gern bearbeitet gesehen hätten. Ich ließ mich zunächst breitschlagen, zusammen mit einem anderen Seminaristen eine Fragestellung im Bereich der Schlafforschung zu bearbeiten. Dafür investierte ich viel Zeit, ohne aber zu irgendwie mitteilenswerten Ergebnissen zu kommen, und so weit ich weiss, ist auch aus keinem der parallel begonnenen Projekte eine Publikation hervorgegangen. Es war wohl keine gute Idee, die fehlende Grundlagenforschung im Bereich der Waldorfpädagogik dadurch kompensieren zu wollen, daß man die Seminaristen (die für ihre Ausbildung zahlen!) nebenbei als Ersatz-Wissenschaftler mißbraucht, ohne die ihnen übertragenen Arbeiten gründlich vorzubereiten und kompetent zu begleiten.

Gegen Ende der Ausbildung begegnete mir aber im Kurs eine Frage, die mich besonders interessierte und für deren Bearbeitung ich mich aufgrund meines noch fast taufrischen Biologiestudiums als besonders kompetent ansehen konnte: In den oben erwähnten Vorträgen Steiners, die u.a. die Erarbeitung einer “kosmologischen” Zellenlehre anregen sollten, war an prominenter Stelle von “Gerüststrukturen” in der Zelle die Rede. Steiner hatte offenbar die Erwartung gehegt, daß eine nähere Befassung mit derartigen zellulären Strukturen Ansatzpunkte bieten würde, um von der zellulären Ebene aus Beziehungen zum Kosmos zu finden. Ich war für so eine unkonventionelle Fragestellung durchaus offen, zumal wenn sie von Steiner aufgeworfen war, dem ich schon für so manchen genialen Griff dankbar war. Und in diesem konkreten Fall kam hinzu, dass mir im Studium das “Zytoskelett” als neuer und sehr spannender Forschungsgegenstand begegnet war. Was Steiner 1921 bezüglich zellulärer Gerüststrukturen angedeutet hatte, war in der zellbiologischen Forschung gerade eine überraschende Entdeckung! Möglicherweise war das, was Steiner damals vorschwebte, auf der zellbiologisch-empirischen Ebene erst jetzt zugänglich. Ich hatte jedenfalls mein Thema gefunden, anhand dessen ich in der nächsten Zeit neben meiner Lehrertätigkeit prüfen wollte, ob erstens eine goetheanistische Betrachtungsweise auch auf der subzellulären Ebene noch fruchtbar sein würde und ob zweitens dabei irgendwelche “kosmologischen” Perspektiven erkennbar werden würden.

Die vorübergehende Lehrertätigkeit selber betrachte ich heute im Rückblick als ein eher improvisiertes Intermezzo. Eine gewisse “pädagogische Ader” hatte ich zwar schon, als ich selber noch Schüler war. Aber um wirklich Lehrer werden zu wollen, hätte ich mich damals mit dem mir allein bekannten staatlichen Schulsystem identifizieren können müssen, was aus diversen Gründen nicht der Fall war. Als ich dann später auf das Waldorf-System stieß, fand ich zwar vieles im prinzipiellen Ansatz besser als beim Staat, aber die Waldorf-Realität war dann doch in vielerlei Hinsicht noch weniger akzeptabel als das, was ich aus der Staatsschule kannte. Damit konnte ich mich in der Praxis auf Dauer nicht identifizieren, und zudem musste ich allmählich einsehen, daß mir die Ausbildung am Lehrerseminar zwar sehr viel theoretischen Ballast, aber keinerlei Befähigung zum Unterrichten vermittelt hatte.

Lehrer ist ein sehr anspruchsvoller Beruf, in den man hineinwachsen muß. Dazu wäre ich damals wohl noch fähig gewesen, aber das Seminar hatte mich kaum ansatzweise auf die Praxis vorbereitet, und die Schule erwartete einen perfekt vorbereiteten und sofort beliebig belastbaren Spezialisten für eine große Zahl von Aufgaben. Hinzu kam, daß ich seit Jahren kaum noch zum Ausatmen gekommen war und jetzt in ein Kollegium kam, in dem aufgeputschte Workaholics den Ton angaben. Das konnte nicht allzu lange gut gehen, und im dritten Jahr brach ich zusammen.

Während der Rekonvaleszenz, in der ich wieder anzuerkennen lernen mußte, daß der Mensch - und zumal der Kopfarbeiter - auf Dauer eines gewissen Schlafpensums bedarf und sich dieses zur Not auch erkämpfen muß, beschloss ich, der Notlösung des Waldorflehrer-Daseins den Rücken zu kehren und mich nun doch konsequent der goetheanistischen Forschung zu widmen. Mein selbst-gestelltes Thema “Zytoskelett” hatte sich zwischenzeitlich zwar als unerwartet kompliziert herausgestellt, aber ich meinte doch, ein neues Verständnis für dieses Metier erreicht zu haben, das mir einer Veröffentlichung würdig erschien.

Leider fand ich in Waldorf- und Goetheanistenkreisen kaum Unterstützung für dieses Projekt. Nach schwierigen Verhandlungen erhielt ich ein auf drei Monate befristetes halbes Gehalt und zusätzlich ein Honorar für die Publikation. Dafür mußte ich die bisherigen Ergebnisse meiner mehrjährigen Arbeit in eine publizierbare Form bringen (s. Publikationen 1991, Tycho de Brahe-Jahrbuch). Für die weitere Verfolgung der offenen oder nur halb geklärten Fragen interessierte sich niemand, auch nachdem ich ohne jede Unterstützung noch zwei weitere Publikationen fertiggestellt hatte (1991 und 1992).

Parallel dazu hatte ich mich noch in eine andere Thematik eingearbeitet, die sich als Aufgabenstellung aus dem “Lehrplan” für den Chemie-Unterricht an Waldorfschulen ergibt: die Frage nach einer goetheanistischen Biochemie. Wie sich herausstellte, suchte die Kasseler Forschungsstelle in diesem Zusammenhang “händeringend” einen Mitarbeiter. Allerdings stellte sich auch heraus, daß man in Kassel schon sehr bestimmte Vorstellungen von dem Ergebnis der gewünschten Untersuchung hatte. Mein Ansatz, die Anregungen Steiners als Hinweise auf um 1920 herum naturwissenschaftlich-empirisch sinnvolle Fragestellungen ernst zu nehmen, stieß auf schroffe Ablehnung. Man wollte stattdessen diese Anregungen als Mitteilungen aus der Geistesforschung Steiners (Anthroposophie) interpretieren, die man als grundsätzlich unvereinbar mit der Naturwissenschaft betrachtete. Das geht nur, wenn man erstens Steiners grundsätzliche Aussage, dass seine Forschungen nie in einen Gegensatz zur naturwissenschaftlichen Empirie geraten könnten, ignoriert oder für falsch hält, wenn man zweitens im konkreten Fall (Oxalsäure und Ameisensäure) ignoriert, dass Steiner ausdrücklich eine Aufgabe für die naturwissenschaftlich-empirische Forschung formulierte, und wenn man drittens die offizielle Maßregel für die Waldorfschulen, keine Anthroposophie zu unterrichten, grob missachtet. Nun, man fand einen Mitarbeiter, mit dem das alles zu machen war. Daraus ging ein Waldorf-internes Manuskript hervor, das inzwischen anscheinend vergriffen ist.

Ich fand immerhin Gelegenheit, meine abweichende Darstellung ebenfalls zu veröffentlichen (s. Publikationen 1992). Dabei konnte ich zeigen, dass Steiners damalige Äußerungen durchaus auch naturwissenschaftlich Sinn machen, wenn man nicht fundamentalistisch am heutigen naiven Verständnis seiner Worte festhält, sondern den damaligen wissenschaftlichen Kontext ins Auge faßt. Aber ein derartiger Umgang mit Steiners Werk ist in anthroposophischen Kreisen ausgesprochen unerwünscht (wie ich auch später immer wieder feststellen mußte). Lieber nimmt man eklatante Widersprüche zur naturwissenschaftlichen Faktenlage in Kauf (was Steiner für seine Anthroposophie als prinzipiell unmöglich ausgeschlossen hat), als Zweifel an der unbedingten Wahrheit gewisser Worte Steiners zuzulassen. Ja, man will die Anthroposophie geradezu im Widerspruch zur “Wissenschaft” sehen. (Im Archiv ist demgegenüber näher dargestellt, wie Steiner das Verhältnis von Anthroposophie und Biochemie sah und wie seine Ausführungen zur Ameisensäure und Oxalsäure aus heutiger, nicht-fundamentalistischer Sicht durchaus im Einklang mit der Naturwissenschaft zu verstehen sind.)

Eigentlich ist es kaum zu fassen: Da wird von den Lehrern an den Waldorfschulen einerseits erwartet, dass sie den “Lehrplan” Steiners umsetzen, doch wird man andererseits als Fachlehrer auch nach 70 Jahren (1992) mit zentralen, aber hochgradig rätselhaften “Angaben” Steiners allein gelassen, weil offenbar niemand recht versteht, was Steiner da eigentlich meinte. (Letzteres hängt übrigens damit zusammen, dass Steiner eben nicht einen Lehrplan für künftige Generationen festlegen wollte, sondern als Schulleiter in den Konferenzen dem damaligen Fachlehrer für Biologie und Chemie, Eugen Kolisko, ganz persönlich gewisse Ratschläge gab.)

Nun sollte man annehmen, daß in diesen Kreisen eine dringende Nachfrage nach Leuten besteht, die die nötigen Kompetenzen mitbringen, um diese Fragen zu klären, z.B. ein Studium der Biologie mit Nebenfach Chemie, zusätzlich noch gute Kenntnisse der Geschichte der Biologie, weiter eine Ausbildung und Berufspraxis als Waldorflehrer, recht umfassende Kenntnisse des Gesamtwerks Rudolf Steiners sowie der goetheanistischen Naturwissenschaft und schließlich schon selbst erarbeitete Spezialkenntnisse der in Frage kommenden Fachgebiete. Aber hat man endlich all diese Kompetenzen beisammen, dann muss man zur Kenntnis nehmen, dass es sich dabei eher um eine Aufzählung der Gründe handelt, warum man “nicht geeignet” ist. Allenfalls die praktische Erfahrung als Waldorflehrer wäre von Vorteil - wenn sie so langjährig wäre, dass man sich dabei eine von den herrschenden Traditionen unabhängige Urteilsfähigkeit abgewöhnt hätte. (Die nötige langjährige Unterrichtspraxis wurde mir des öfteren als “ungeschriebenes Gesetz” genannt, allerdings ohne die damit verbundene Konsequenz für die Urteilsfähigkeit.)

In dieser Zeit lebte ich hauptsächlich vom Arbeitslosengeld. Um die teils sehr umfangreiche Literatur beschaffen und wichtige Tagungen etc. besuchen zu können, musste ich mein Bankkonto immer weiter überziehen. Zwischendurch erhielt ich durch meinen früheren Kursleiter und Fachdozenten am Lehrerseminar, Wolfgang Schad, den einen oder anderen “Forschungsauftrag” (durchweg Literaturarbeiten), für den ich dann einen oder einige Monate lang ein Gehalt bekam, aber durchweg erheblich länger arbeiten mußte, um eine Publikation zustandezubringen, derentwegen ich mich danach nicht allzu sehr zu schämen hatte. Der typische Vorgang war dabei etwa so, dass Schad mich fragte, wie viel Zeit ich für die gestellte Aufgabe mindestens brauchen würde, woraufhin er entgegnete, dass er allenfalls Mittel für die Hälfte dieser Zeit auftreiben könne, und der von mir zu verfassende Antrag auf diese Hälfte wurde dann unter Schads Mitwirkung wiederum nur zur Hälfte genehmigt. Damals war ich noch halbwegs geneigt, der Begründung für diese Praxis, es sei halt sehr schwer, überhaupt Geld für solche Arbeiten aufzutreiben, Glauben zu schenken.

Einer dieser Aufträge Schads - eine Dokumentation über nicht-zufällige Segregation von Chromosomen - war mit der Aussicht verbunden, als Mitarbeiter des damals in der Gründung befindlichen Instituts für Evolutionsbiologie an der Universität Witten/Herdecke eine feste Anstellung zu finden. Auch das ist eine Methode, jemanden zu unentgeltlicher Arbeitsleistung zu bewegen. Die Assistentenstelle, von der anfangs die Rede gewesen war, bekam schließlich jemand anderes, und für mich blieb ein auf zwei Jahre befristetes Promotionsstipendium in Höhe von 2000 DM im Monat.

An dieser Stelle wollte ich einen Schlußstrich ziehen, und das hätte ich aus heutiger Sicht auch tun sollen. Ich war empört und wollte dem auch Ausdruck verleihen. Aber ich beriet mich noch mit zwei (anthroposophischen) “Freunden” - inzwischen schreibe ich das in Anführungszeichen -, und die rieten mir zu weiteren Verhandlungen. Ich traute dem Rat der Freunde mehr als meinem eigenen Gefühl. So erfuhr Schad nichts von meiner Empörung, das Stipendium wurde in Richtung eines ordentlichen Gehalts aufgestockt, und ich wurde gegen meinen Wunsch zum Doktoranden (während Schad selbst als fast 60jähriger Institutsleiter noch keinen Doktortitel hatte). Zugleich war ich für weitere zwei Jahre zur Heimarbeit verdammt, weil Schad mich nicht zu sich ins Ruhrgebiet holen wollte, und das Arbeitsverhältnis war unter Ausschluss einer Verlängerungsmöglichkeit auf zwei Jahre befristet. Womit meine unbezahlte Weiterarbeit danach wieder einmal stillschweigend einkalkuliert war.

Sachlich waren es - neben dem Rat der Freunde - zwei Gründe, warum ich mich auf diese Sache noch weiter einließ. Einmal wollte ich dieses Projekt, an dem ich auf Schads Veranlassung - und zeitweilig auch in der geschilderten Weise bezahlt - schon viel gearbeitet hatte, nach Möglichkeit zu einem sinnvollen Abschluß bringen. Und zum andern war mir deutlich, dass Schad nach den diversen “Förderungen”, die er mir hatte zuteil werden lassen, mich in tiefer Schuld bei sich sah und mir nicht das Recht auf eine Absage zuerkannte. Ihm nicht mehr zu Diensten zu sein, hätte mir gewiss ein schlechtes (inoffizielles) Zeugnis eingebracht und mir ein weiteres Fortkommen in diesen Kreisen erneut verbaut - wie schon vor Jahren in entsprechender Weise am Ende meines Zivildienstes  (s.o.). (Wie berechtigt diese meine Einschätzung war, zeigt Schads Reaktion, als ich ihm einige Jahre später dann doch mal eine Absage erteilte.)

In dieser Situation erhielt ich einen Brief von meinem Boss aus Zivildienst-Zeiten, Thomas Göbel. Er hatte davon erfahren, dass sein Freund Schad mich in zwei Jahren “freigeben” würde, und war inzwischen anscheinend doch von meinen Fähigkeiten als Goetheanist überzeugt, nachdem einige meiner bisherigen Publikationen in “seinem” Tycho de Brahe-Jahrbuch für Goetheanismus erschienen waren (s. Publikationsliste, 1989 bis 1992). Im Nachhinein erscheint es mir allerdings plausibler, dass das eigentlich “Überzeugende” ein damals kursierendes Manuskript von mir war, in dem ich ausgiebig auf frühere botanische Arbeiten Göbels Bezug nahm (später veröffentlicht im Tycho-Jahrbuch 1996, s. Liste).

Jedenfalls wollte Göbel mich jetzt als Mitarbeiter seines Carus-Instituts haben, und zwar so schnell wie möglich und zu - im Vergleich zu meinen bisherigen Verhältnissen - fantastischen Konditionen. Dazu gehörte per sofort die Bereitstellung eines Arbeitsplatzes an seinem Institut auch für die Zeit, in der ich noch für Schad tätig sein würde, und die Übernahme meiner Umzugskosten (was ich bisher in diesen Kreisen noch nicht erlebt hatte). Nach Ablauf meines Vertrags mit der Uni Witten sollte ich wissenschaftlicher Mitarbeiter des Carus-Instituts mit eigenem Verantwortungsbereich werden und genau das Thema bearbeiten, auf das ich mich schon während meines Uni-Studiums besonders vorbereitet hatte: eine goetheanistische Pflanzenphysiologie! Das wäre - nach dem Fehlstart im Zivildienst - doch noch die Verwirklichung meines Traums aus Studentenzeiten gewesen, und als Thema gewünscht ausgerechnet von Göbel!

Trotzdem machte ich meine Bedenken geltend. Ich hatte aus guten Gründen kein Vertrauen zu Göbel, und ich sah nicht ein, warum man das Ganze so überstürzen sollte. Aber Bedenken läßt Göbel - zumal in solchen Dingen - nicht gelten. Greif zu oder lass es bleiben! Ich griff zu.

Die Strafe für diesen Leichtsinn folgte auf den Fuß. So mußte ich die Umzugskosten trotz anderweitiger mündlicher(!) Vereinbarung selber tragen. Der versprochene “Arbeitsplatz” war eine vergammelte Resopal-Platte mit vier Beinen und einer Schublade. Einen Stuhl mußte ich mir selber organisieren, und damit zog ich mir gleich wieder einigen Unmut zu, weil ich nicht bei den “richtigen” Leuten betteln ging. Zudem sollte ich das Zimmer, in dem sich dieser “Arbeitsplatz” befand, nach einigen Monaten wieder räumen, weil ein anderer Anwärter, der in der Gunst höher stand als ich, darauf Anspruch hatte. Eine alternative Räumlichkeit zu finden, war “mein Problem”. Und der allgemeine Wettstreit um die Gunst des verehrten Herrn Göbel hatte in den Jahren meiner Abwesenheit Formen angenommen, die ich mir so nicht erträumt hätte. Kurz: Welcome back to hell!

Fortan hatte ich zwei Instituten zu Diensten zu sein, während ich nicht einmal ein volles Assistentengehalt erhielt. Die restlichen eineinhalb Jahre des Arbeitsverhältnisses mit der Universität Witten/Herdecke waren zugleich eine verlängerte und unbezahlte Probezeit am Carus-Institut, wo ich mir allerlei Nötigungen gefallen lassen mußte, wenn ich jemals den Status eines bezahlten Mitarbeiters erreichen wollte. Und danach musste ich neben meinen Aufgaben am Carus-Institut auch weiterhin für Schad an meiner “Dissertation” arbeiten, weil ich bei ihm angeblich “im Wort” war. So ein “Wort” gilt in diesen Kreisen viel, auch wenn es sich keineswegs um eine Vereinbarung, sondern lediglich um einen einseitig erhobenen Anspruch handelt. Entscheidend ist nur, wer diesen Anspruch erhebt - und mit wem er gute Beziehungen hat.

Trotz dieser (und weiterer ungenannter) Schwierigkeiten konnte ich zunächst aber durchaus erfolgreich in die Arbeit meiner neuen Wirkensstätte einsteigen. Mein Beitrag zu dem interdisziplinären Projekt “Biologie und Krankheiten der Leber” (s. Publikationsliste 1995) wurde hoch gelobt. Aber anstatt den damit aufgekommenen “frischen Wind” in dieser Thematik zu nutzen, beschlossen die Kollegen, das Projekt ad acta zu legen. Nicht der inhaltliche Fortschritt zählte, sondern die Aufrechterhaltung der bestehenden Kompetenz-Hierarchie. Daneben war Göbel persönlich sehr angetan von meiner schon früher begonnenen Arbeit über die Physiologie sukkulenter Pflanzen (s. Liste 1996). Für mein Bestreben, fragliche Details noch durch weiteres Literaturstudium zu klären, hatte er jedoch keinerlei Verständnis. Nicht die Faktenlage interessierte ihn, sondern die Bestätigung seiner schon lange vorher gefassten “Idee”.

Dieses Problem erwies sich mit der Zeit als ein grundsätzliches: Niemand an diesem Institut interessierte sich für Fakten, die ich zu vielen anstehenden Fragen aus der konventionellen Fachliteratur entnehmen konnte - es sei denn, sie bestätigten bereits gefestigte Überzeugungen. Mit Goetheanismus, wie ich ihn verstehe und wie ich ihn Jahre zuvor am selben Ort auch noch erlebt hatte, kann ich so eine Haltung nicht vereinbaren. Für mich bedeutete und bedeutet Goetheanismus immer ein vorbehaltloses Sich-Einlassen auf das, was Sache ist. Das Gegenteil davon wäre ein unbeirrbares Festhalten an einmal ausgedachten “Ideen”. Genau das, also pure Ideologie, begegnete mir nun von allen Seiten, verbunden mit einem massiven Anpassungsdruck. Ich blieb jedoch meiner klaren Aufgabenstellung treu und arbeitete weiter goetheanistisch. Wider besseres Wissen bedeutende Tatsachen zu unterschlagen, nur um keinen Zweifel an den zu “Ideen” hochstilisierten Hypothesen von Institutskollegen aufkommen zu lassen, das ist mit mir nicht zu machen. Und schon gar nicht bin ich bereit, solche Hypothesen, die nach meiner Kenntnis sachlich nicht haltbar sind, selber in Wort und Schrift als “Erkenntnisse” zu verbreiten.

Nachdem alle diesbezüglichen Umerziehungsversuche gescheitert waren, wurde mein Projekt im Rahmen des Instituts eingestellt - und ich somit mal wieder “arbeitslos”. Tatsächlich blieb mir jedoch die Arbeit erhalten, wie zuvor schon, wann immer ich formal “arbeitslos” war. Es fehlte nur - wieder einmal - das Geld. Diesmal versuchte ich, nachdem ich auch bisher schon die meisten Anträge selber geschrieben hatte, die nötigen Forschungsgelder als Freiberufler selbst einzuwerben. Zu meiner Überraschung erklärte sich gleich der erste potentielle Geldgeber, von dem ich mir eine Teilfinanzierung erhofft hatte, bereit, die Fortführung meiner bisherigen Arbeit voll zu finanzieren. Das klang sehr ermutigend, hatte aber einen Haken: Die Zusage war - wie unter Anthroposophen üblich - nur mündlich erfolgt. Anstatt einen entsprechenden Vertrag mit mir zu schließen, forderte man mich auf, die mündlich bereits zugesagte Finanzierung formell noch einmal zu beantragen. Und mit der Bearbeitung dieses Antrags ließ man sich Zeit, während ich trotz reichlicher Arbeit ohne Einkommen wieder einmal Schulden machen mußte. Schließlich ging eine Zahlung in Höhe von 46 DM ein ... .

Diese Art, freiberufliche Forschung zu “fördern”, entpuppte sich als Methode, um mit möglichst geringfügiger eigener Verpflichtung Forschungsarbeit zu organisieren und davon zu profitieren. Anstatt mich und andere Forscher in feste Arbeitsverhältnisse einzustellen, “förderte” eine anthroposophische Heilmittelfirma unsere freiberufliche Tätigkeit, indem sie die zuvor mündlich in Auftrag gegebene Arbeit auf unsere schriftlichen Anträge hin bezahlte - oder auch nicht. Ich selbst erhielt, nachdem man zunächst “versehentlich” drei Nullen weggelassen und dann einen weiteren von mir verabredungsgemäß eingereichten Antrag über Monate hin nicht bearbeitet hatte, schließlich doch noch die benötigten Gelder - allerdings verbunden mit der Mitteilung, dass man meine Arbeit nach der Ablieferung einer Reihe von Manuskripten zu einem einseitig festgelegten Termin als beendet betrachte. Bei einem Kollegen, der in der selben prekären Pseudo-Freiberufler-Situation gehalten wurde, war man weniger gnädig. Und er musste sich, wie er erzählte, in diesem Zusammenhang auch noch die nur als Hohn zu empfindende Bemerkung gefallen lassen, er habe sich in einem früheren Leben wohl ein besonders schlimmes Karma aufgeladen.

Ich zog nun endlich - mit fünf Jahren Verspätung - den Schlussstrich, von dem ich mich 1993 noch hatte abbringen lassen. Damit war ich erstmals wirklich arbeitslos, konnte wieder auf meine in diesen grotesken Verhältnissen ziemlich herabgewirtschaftete Gesundheit Rücksicht nehmen und nach reelleren Möglichkeiten Ausschau halten, meinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Aber so leicht war diese Vergangenheit nicht abzuschütteln. Schad erwartete weiterhin, daß ich meine “Dissertation” nach seinen Wünschen zu Ende bringen würde. Nachdem ich mich weigerte, noch länger unbezahlt an dieser Monographie zu arbeiten, bot er mir wieder einmal - wie schon rund ein Jahrzehnt zuvor - eine Assistentenstelle an seinem Institut an. Diesmal ließ ich mich dadurch allerdings nicht zu unbezahlter Arbeit vor dem Abschluß eines Arbeitsvertrags verleiten. Wie schon gewohnt, zog sich das Freiwerden der angebotenen Stelle immer weiter hin. Und wie ebenfalls schon gewohnt, blieb am Ende nur eine halbe Stelle übrig, weil Schad die andere Hälfte zwischenzeitlich schon an eine andere Person vergeben hatte. Natürlich weigerte ich mich, nochmals den Doktoranden zu spielen, indem ich für eine halbe Bezahlung voll arbeitete. Wir einigten uns auf eine Frist von drei Monaten, in der Schad die weitere Finanzierung einer vollen Bezahlung sichern wollte und ich prüfen sollte, ob meine schon recht angestaubte Dokumentation auch aktuell noch in die wissenschaftliche Diskussion passen würde.

Die versprochene “Sicherung” der weiteren Finanzierung bestand dann darin, daß Schad mir eine Adresse nannte, bei der ich - wie schon so oft - das benötigte Geld erst einmal beantragen sollte. Nach meinen reichen Erfahrungen mit solchen Situationen (s.o.) hatte ich gegen dieses Prozedere höchste Bedenken. Bei meinem Versuch, diese zur Sprache zu bringen, handelte ich mir jedoch nur eine Breitseite an Beschimpfungen und moralisierenden Vorhaltungen ein. Einer der Höhepunkte dieser “Ansprache”, die ich mir per Ferngespräch auf meine privaten Kosten in meinem zum Arbeitszimmer umfunktionierten Wohnzimmer anhören mußte, war das schon erwähnte “Karma-Argument”: Schad bildete sich offenbar ein, aus “karmischen” Gründen ein Anrecht darauf zu haben, dass ich ihm zu Diensten sei; und mich dafür zu bezahlen, sah er offenbar nur deshalb als zeitweilig nötig an, weil ich in höchst verurteilenswerter Weise nicht bereit war, “mein Karma anzunehmen”. (Mit Steiners Darstellungen über Karma hat so eine Haltung herzlich wenig zu tun, aber sie erinnert daran, wie Schads Idol Goethe jahrelang die Arbeitskraft seines Verehrers Johann Peter Eckermann in Anspruch nahm, ohne ihn je nennenswert dafür zu bezahlen.)

Nachdem weitere Überredungsversuche bei mir nicht mehr fruchteten, verlangte Schad allen Ernstes, ich solle die erhaltenen drei Monatsgehälter brutto zurückzahlen. Mein Versuch, angesichts dieser absurden Forderung die Uni-Leitung um Vermittlung zu bitten, brachte mir von dort nur weitere Drohungen ein. Und in diesem Zusammenhang wollte man mir sogar verbieten, meine Dissertation oder Teile davon ohne die Zustimmung Schads (die dieser immer verweigert hatte und jetzt natürlich erst recht nicht mehr geben würde) zu veröffentlichen. Darüber kam es zu einem Rechtsstreit, in dem Schad und seine Universität immer neue Lügen auftischten, um die beanspruchten Rechte an meiner Arbeit irgendwie gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Schließlich machte ich diese üble Angelegenheit hier auf dieser Website publik (Schads Lügen), und nach einem recht massiven, aber fruchtlosen Versuch, mich unter Androhung strafrechtlicher Schritte zu einer Löschung der betreffenden Seite und zu einem förmlichen Verzicht auf meine Autorenrechte zu zwingen, zog die Gegenseite es offenbar vor, zwecks Vermeidung weiterer Enthüllungen auf eine Fortsetzung ihres Psychoterrors zu verzichten.

Seither bin ich - mit ein paar kurzen Unterbrechungen - “arbeitslos”. An eine weitere Tätigkeit in diesen anthroposophisch-goetheanistischen Kreisen ist für mich nicht mehr zu denken. Selbst wenn es trotz der hasserfüllten Verleumdungen meiner Person durch so einflussreiche Leute wie Schad und Göbel noch eine Nische gäbe, in der ich weiter arbeiten könnte, - ich will mit diesem ganzen Komplex allenfalls noch in völlig freier und ungebundener Weise zu tun haben. Zu übel waren meine persönlichen Erfahrungen über all die Jahre, und zu verfahren ist die Situation des Goetheanismus und der Anthroposophie (zu letzterer siehe hier). Deshalb arbeite ich nur noch sehr sporadisch ein wenig an dieser Website und befasse mich ansonsten mit ganz anderen Dingen.

Beruflich wäre also schon vor einigen Jahren ein Neuanfang dran gewesen. Aber in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit bekommt man dafür schon im mittleren erwerbsfähigen Alter kaum noch eine Chance - es sei denn, man hätte das Geld, eine eigene Firma zu gründen. Einen neuen Beruf zu erlernen, macht jenseits der 40 nur noch in seltenen Fällen Sinn, denn es gibt in allen Sparten schon genügend jüngere Bewerber, die im anonymen Berwerbungsverfahren grundsätzlich vorgezogen werden. Und für ungelernte Tätigkeiten ist man als Akademiker extrem “überqualifiziert” - was auch immer sich im konkreten Fall hinter dieser Floskel verbergen mag.

So bleiben allenfalls noch ungeliebte Jobs, die kaum jemand gern macht. Paketzusteller in der Vorweihnachtszeit zum Beispiel oder Zeitungszusteller. Letzteres habe ich eine Zeit lang gemacht, bin dabei sogar zu einer Art Vorarbeiter aufgestiegen, wodurch der kleine Nebenjob zu einem aufreibenden Fulltimejob wurde. Aber dann wurde mein Vorgesetzter ausgewechselt, und ich durfte zur Abwechslung einmal deftiges Mobbing ausserhalb anthroposophischer Kreise erleben - bis hin zum Rausschmiss am Ende der Probezeit und der trickreichen Prellung um den letzten Monatslohn.

Am unteren Rand der sozialen Skala muss man mit so einer Behandlung natürlich rechnen. Überrascht war ich deshalb in diesem Fall keineswegs. Unter Anthroposophen dagegen sollte man - zumal als hochqualifizierter und vielgelobter Mitarbeiter - eine andere Behandlung erwarten, denn Anthroposophen erheben den Anspruch, durch unermüdliche Selbsterziehung “bessere” Menschen zu sein, und nach den von Steiner formulierten Idealen der “sozialen Dreigliederung”, über die u.a. auch Göbel und Schad hehre Vorträge halten, hätte man fast paradiesische soziale Verhältnisse zu erwarten. Die Diskrepanz zwischen diesen zur Schau getragenen Idealen und der sozialen Realität, die die selben Herrschaften im wirklichen Leben zu verantworten haben, ist grotesk. Und eher noch grotesker ist es, wie dieser perfide Etikettenschwindel vom gesamten Umfeld toleriert oder gar unterstützt wird, obwohl am laufenden Band Ahnungslose wie ich in diese Falle tappen.

Zu den Prinzipien der sozialen Dreigliederung gehört die “Brüderlichkeit” im wirtschaftlichen Bereich. Ein wirklich hohes Ideal, und gewiss schwer im täglichen Leben umzusetzen. Aber es wird ja niemand gezwungen, es im Mund zu führen. Wer sich jedoch damit schmückt, sollte sich auch daran messen lassen. Die genannten “Brüder” führen dieses Ideal allerdings nur dann im Mund, wenn es sich gerade mal zu ihrem persönlichen Vorteil gebrauchen läßt. Und sei es nur zur Erlangung eines Vortragshonorars, das ihnen den Erwerb eines weiteren begehrten Stücks für ihre eifersüchtig gehegten Sammlungen von Jagdtrophäen etc. erlaubt, welche sie niemals mit jemandem “brüderlich” teilen würden. Oder zur Motivation eines “Mitarbeiters”, schon mal mit der ihm angetragenen Arbeit zu beginnen, auch wenn die versprochene Bezahlung noch in den Sternen steht.

Ein anderes Prinzip der sozialen Dreigliederung ist die Gleichheit der Menschen in rechtlicher Hinsicht. Diesbezüglich sind die genannten Herren immerhin so konsequent, das Wort “Gleichheit” von vornherein zu vermeiden und einen anderen Aspekt des Rechtslebens an seine Stelle zu setzen: die “Verabredung”. Denn von einer rechtlichen Gleichstellung der Menschen kann innerhalb dieser Kreise gar keine Rede sein. Stattdessen herrscht eine durchaus feudalistische Hierarchie, an deren Bestand natürlich vor allem die Nutznießer wie Schad und Göbel interessiert sind. Dem dient die Schaffung eines rechtsfreien Raumes, in dem anstelle allgemeingültiger Gesetze und Regeln die - durchweg mündliche - “Verabredung” gilt. Denn mündliche Verabredungen sind interpretierbar, und in einer strengen Hierarchie ist zumeist klar, wessen Erinnerung im Zweifelsfall die “richtige” ist. Dazu kann bei Bedarf noch die Andichtung eines “krankhaft gestörten” Gedächtnisses kommen, während die hohen Herren für sich selbst je nach Bedarf entweder ein unfehlbares Gedächtnis oder eine altersbedingte Vergesslichkeit in Anspruch nehmen.

Das dritte Prinzip der sozialen Dreigliederung wäre die Freiheit des Geisteslebens - was immer man darunter verstehen mag. Man kann z.B. darunter verstehen, dass Wissenschaft nur der Wahrheit verpflichtet ist und nicht den dieser zuwiderlaufenden Interessen von Geldgebern oder Vorgesetzten. Man kann darunter verstehen, dass die Akteure des Geisteslebens in freier Weise Fragestellungen aufgreifen, die “in der Luft liegen” und vielleicht auch durch besondere biographische Gegebenheiten persönlich an einen herangetragen werden. Man kann weiter ein freies Geistesleben darin sehen, dass fachlich kompetente Menschen, die bereit sind, sich solcher Fragestellungen anzunehmen, nach sozialen Zusammenhängen und wirtschaftlichen Grundlagen für eine Bearbeitung dieser Fragen suchen. Ein solches freies Geistesleben, das den Akteuren sehr viel Engagement und Mut abverlangt, wäre möglich, wenn wenigstens in gewissen Kreisen ein Bewusstsein von der Notwendigkeit entsprechender sozialer Rahmenbedingungen und materieller Grundlagen verbreitet wäre. Und das ist durchaus der Fall, denn geredet und geschrieben wird im Umfeld der Anthroposophie nicht wenig darüber. Aber wo ich die Probe aufs Exempel machte, war es halt nur Gerede, das eine ganz andere Wirklichkeit kaschierte. Und somit insgesamt eine besonders perfide Art der Ausbeutung.

In meinen aktiven Jahren als Goetheanist konnte ich unter diesen Verhältnissen nur dadurch fruchtbar arbeiten, daß ich bereit war, mich immer weiter zu verschulden. Ohne das Gerede von Brüderlichkeit und freiem Geistesleben hätte ich das nie riskiert. Aber eine Anerkennung für diese materiellen Vorleistungen wurde mir nie zuteil, und schon gar nicht  half man mir dabei, die Schulden wieder abzubauen. Zwar profitierte man gern von den Früchten meiner Arbeit und von meinem dabei erworbenen Wissen. Aber die Freiheit, die ich mir genommen hatte, indem ich - nach meinem Verständnis dessen, was Steiner als freies Geistesleben postuliert und auch selber gelebt hatte, - eigene Projekte in Angriff nahm, wurde keineswegs als nachahmenswert betrachtet. Als Anthroposoph, so schleuderte mir Schad bei unserem letzten “Gespräch” (s.o.) hasserfüllt entgegen, tue man nicht, was man selber wolle, sondern was Andere einem auftrügen. Es dürfte schwer fallen, diese Behauptung mit den Lehren des Begründers der Anthroposophie (Steiner) in Einklang zu bringen, und zudem dürften nach diesem Maßstab Leute wie Schad und sein Freund Göbel sich selbst gewiss nicht mehr als Anthroposophen bezeichnen. Aber so lächerlich dieses Diktum Schads in der Sache auch sein mag, zeigt es doch, wie krass in diesen Kreisen Anspruch (freies Geistesleben) und soziale Wirklichkeit auseinanderklaffen.

Dass ich mir meine Fachkompetenz auf vielen Gebieten (vgl. Publikationsliste) als Privatmann nur um den Preis einer nicht unerheblichen Verschuldung hatte erwerben können, spielte auch bei den Verhandlungen über mein Gehalt an Göbels Institut keine Rolle. Ganz entgegen meiner damals noch idealistischen Erwartung wurden da die Prinzipien der sozialen Dreigliederung komplett gegen mich gewendet. In einer brüderlichen Gemeinschaft wie dem Carus-Institut werde man nicht nach Leistung bezahlt, sondern nach den Bedürfnissen. Meine gewiss anerkennenswerten bisherigen Leistungen könne man daher nicht berücksichtigen. Meine Bedürfnisse wiederum könnten ja wohl kaum höher liegen als etwa die von Thomas Göbel. Ausserdem seien hohe Gehälter ökonomisch nicht vertretbar, weil man dann zu viele Steuern zahlen müsse. Ich war sprachlos. Dass Göbel wesentlich weniger Miete bezahlen mußte als ich, weil ihm ein wohlhabender Freund eine Wohnung zu Sonderkonditionen zur Verfügung stellte, dass er kein Auto finanzieren mußte, weil er (wie einige andere Kollegen) über einen Firmenwagen verfügte, und dass er sich alle seine Urlaubsreisen als “Forschungsreisen” extra bezahlen ließ, das wußte ich damals noch nicht, aber es hätte wohl auch keine Rolle gespielt.

Wenn es allein nach den genannten “väterlichen” Kollegen gegangen wäre, die sich so gern als meine “Gönner” hinstellten, dann würde ich wohl noch heute auf den angehäuften Schulden sitzen. Schad wollte, wie schon erwähnt, am Ende unserer “Zusammenarbeit” allen Ernstes drei Monatsgehälter incl. Nebenkosten zurückerstattet bekommen. Und das Carus-Institut wollte mich feuern, ohne sich auch nur symbolisch an meinen Vorleistungen zu beteiligen, die zu einem erheblichen Teil durch die Diskrepanz zwischen “Verabredung” und Realität beim Antritt dieser Stelle (s.o.) angefallen waren. In beiden Fällen lernte ich die Bedeutung eines allgemeinen Rechtssystems und der prinzipiellen Gleichheit vor dem Gesetz schätzen. Schad hatte diesmal nicht die alleinige Deutungshoheit über unsere “Verabredung”, denn die war als Arbeitsvertrag schriftlich niedergelegt und sah natürlich keine Rückzahlung der erhaltenen Bezüge vor. Und im Carus-Institut war man zunächst zwar nicht bereit, mit mir über die Bedingungen meines Rausschmisses zu reden, doch das änderte sich sofort, als die Herren eine Vorladung vor das Arbeitsgericht erhielten. Diese Instanz scheuten sie so sehr, dass sie plötzlich sehr entgegenkommend waren, um von mir eine schriftliche(!) Erklärung zu bekommen, dass ich die Klage umgehend zurückziehen würde.

Warum breite ich das alles so aus? Mir selber hätte es in all den Jahren sehr geholfen, wenn man mich auch nur ein wenig vor den realen Verhältnissen gewarnt hätte, auf die ich mich einlassen wollte. Hätte man mich durch die im Grunde heuchlerische Fassade der “sozialen Dreigliederung” und durch immer wieder falsche Versprechungen nicht so systematisch hinters Licht geführt, dann hätte ich mich wohl kaum so sehr auf diese Verhältnisse eingelassen. So aber mußte ich diesen ganzen Schlamassel selber durchwaten, bis es schließlich zu spät war, beruflich noch einmal umzusteigen und dem sozialen Abseits zu entgehen. Und auch gesundheitlich blieb das natürlich alles nicht ohne Folgen.

Bisher war es mir immerhin noch möglich, diese Website aufzubauen und immer wieder zu ergänzen. Für Fachliteratur oder gar für den Besuch von Tagungen fehlen mir allerdings die Mittel, weshalb ich eigentlich nur noch aufarbeiten kann, was ich in früheren Jahren angesammelt habe. Noch bleiben einige frühere Print-Publikationen, die ich - teils stark gekürzt - über kurz oder lang hier leichter zugänglich machen möchte, und einige Bereiche dieser Website, in denen ich Themen behandle, die früher quasi tabu waren, gedenke ich noch weiter auszuarbeiten. Allerdings kann ich nur in größeren Abständen für meist nicht mehr als ein paar Tage hier aktiv sein. Das meiste ist doch immer noch sehr belastet, und es ist ohnedies schon nicht leicht, in der sozialen Abseits-Situation des Langzeitarbeitslosen zurecht zu kommen, zumal nach den “Hartz-Reformen”, mit denen nicht die Arbeitslosigkeit, sondern allein die Arbeitslosen bekämpft wurden.

 

Zuletzt bearbeitet am 5. 1. 2006

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